Sonntag, 1. Januar 2023

Schießen verboten?

Es passiert immer wieder. In einem harmlosen Trainingsmatch kommt eine Regelfrage auf, man wettet um das Ergebnis und wie sich hinterher rausstellt, ist es alles nicht ganz so einfach. Um genau zu sein, fallen im aktuellen Regelwerk der ITSF (Standard Matchplay Rules version 1.1) Schüsse in die Definition des Passes.

Hier ein Konsistenz Check für die wichtigste Spielsituation im Tischfußball: Welche Spielsituationen sind laut Regelwerk Pässe?

Ausgangssitutation

Wenn der Ball in der eigenen Abwehr zum Zieher/Schieber, Backpin oder Pin Shot aufgebaut sind um dann mit der selben Figur geschossen zu werden, dann gelten die laut aktuellem Regelwerk alle als RESTRICTED BALL und dürfen damit nicht direkt auf die 5 gepasst werden.

Hierzu schauen wir einmal an, wie diese beiden Situationen zu den Passregeln passen.

  1. Schuss aufs Tor, der von der eigenen 5 leicht abgefälscht wird (seitlich berührt - keine Kontrolle) und dann vom gegnerischen Goalie unter Kontrolle gebracht wird. Sonst findet kein Ballkontakt statt.
  2. Schuss auf das Tor, der sich ohne Kontakt (langsam?) unter der eigenen 5 durchbewegt und ohne weitere Kontakte vom gegnerischen Goalie unter Kontrolle gebracht wird.
Um zu verstehen, wann es sich dabei um eine Pass handelt hilft uns ein Blick in die Definition.

Pass

Laut den aktuellen Standard Matchplay Rules (01.01.2023, SMR 1.1) gilt:

A PASS is considered to have occurred if the catching rod retains ACTIVE POSSESSION of the ball or performs an immediate CONTROLLED TRANSITION.
Also muss eine von zwei Bedingungen erfüllt sein, damit dieser Schuss als Pass gilt. Um genauer zu verstehen, was das bedeutet, schauen wir uns diese getrennt an.

Active Possession

hier gilt

ACTIVE POSSESSION: A period of active play during which the ball is reachable from a specific rod.


ACTIVE PLAY: Periods of live play when the ball is under ACTIVE POSSESSION or moving between the rods.

Damit wird es nun ganz interessant, da für ACTIVE POSSESSION Erreichbarkeit ausreichend ist. Damit handelt es sich um ein sehr schwaches Kriterium, welches schnell erfüllt ist, da der Ball beim Schießen für einen (zwar sehr kurzen) Zeitraum von der eigenen 5 erreichbar ist.
Die Frage ist, wie in diesem Zusammenhang "retain" - "behalten" auszulegen ist. In der extremsten Auslegung gilt das für jeden Schuss. Man kann sich auch die Frage stellen, wie langsam der Ball unter der 5 durchrollen darf, damit der Umstand des "behaltens" erreicht ist. Ein Kontakt der eigenen 5 (ein MOVE) ist nicht notwendig.

Controlled Transition

Weiterhin besagt das Regelwerk: 

CONTROLLED TRANSITION: A TRANSITION that directly follows a CONTROLLED POSSESSION

Um diese zu verstehen, benötigen wir noch ein paar weitere Definitionen. 

TRANSITION: A MOVE that causes the ball to leave the rod of ACTIVE POSSESSION


CONTROLLED POSSESSION: An ACTIVE POSSESSION where the ball is controlled following a contact, or where the ball has stopped.


MOVE: A contact that causes a stationary ball to move, or a moving ball to change speed or direction.

Dies ist interessant, da für die CONTROLLED POSSESSION nicht weiter spezifiziert wird, wer diese hat und tritt damit auch ein, wenn sie beim gegnerischen Goalie liegt.
Wenn wir jetzt die CONTROLLED TRANSITION für unsere beiden Fälle bewerten:
  1. Der gegnerische Goalie hat nach der Aktion CONTROLLED POSSESSION, durch den Kontakt mit der eigenen 5 wurde der MOVE erledigt und damit handelt es sich um eine CONTROLLED TRANSITION und war damit ein PASS. 
  2. Ist keine CONTROLLED TRANSITION von der eigenen 5 aus, da aufgrund des fehlenden Ballkontakts kein MOVE gegeben ist.

Legacy Rules

Wenn wir uns jetzt als Referenz die Legacy Rules - also das letzte Regelwerk vor der Umformulierung zu SMR 1.0 - anschauen, dann kann man  aus 23.1.3 eine Passdefinition ableiten.

23.1.3 It is not considered an illegal pass from the five-man rod if a stopped or pinned ball deflects off the same team’s three-man rod provided it was not caught and there was no controlled advancement by the three-man rod.

23.3 Passing from the two-man (or three-man goalie rod) to the same teams five-man rod is ruled the same as passing from the 5-man rod, except that, if the ball should strike an opposing team's player figure, the ball may be legally caught on the same teams five-man rod. The three wall violation is not in effect.  

Hier reicht ein Kontakt alleine der fangenden Stange nicht aus, dass ein Pass gegeben wäre. Als Konsequenz reicht auch der Aufenthalt des Balles unter der Stange nicht aus, damit es sich um einen Pass gehandelt haben kann. 

Fazit

  1. Der Pass ist das wichtigste Spielelement im Tischfußball. Wenn man dieses kritisch hinterfragt kriegt man komplexes System aus Verweisen. Diese Argumentation kann man so nicht während eines Spiels führen.
  2. Die aktuelle Definition eines Passes enthält Artefakte. Dem Wortlaut nach...
    1.  ...wird jede Berührung der fangenden Stange als CONTROLLED TRANSITION gewertet und reicht damit für einen PASS nach der o.g. Definition aus
    2. ...reicht die bloße Erreichbarkeit für die fangende Stange aus, damit ACTIVE POSSESSION damit ein PASS gegeben sein kann.
  3. Um regelkonform schießen zu können, müsste man damit die Passregeln beim rausschießen aus dem Abwehrbereich beachten. Dies ist ein signifikanter Unterschied zu den Legacy Rules. Natürlich ist es nicht offiziell beabsichtigt, Schüsse zu verbieten sondern es handelt sich um einen Fehler in der Umformulierung des Regelwerks.
  4. An dieser Stelle sei auch der Gödelsche Unvollständigkeitssatz (oder auch als Video) als Grenze der theoretischen Machbarkeit erwähnt. Viel wichtiger ist für das Regelwerk im Tischfußball allerdings das Finden des sweet spots zwischen maximal erreichbarer Präzision, minimaler Anzahl an technischen Begriffen und direkter Verständlichkeit der abgeleiteten Regeln (d.h. möglichst wenig Verweise - siehe 1)).
  5. Insgesamt sehe ich das Konzept der Standard Matchplay Rules als großen Schritt in die richtige Richtung an. Sie haben noch ein paar Kinderkrankheiten. Wenn man diese noch etwas überarbeitet, werden wir als Tischfußballgemeinschaft damit ein sehr gutes Regelwerk haben.
Author: Fabian Wachmann

1 Kommentar:

  1. Zum Finden eben jener Sweetspots wäre es ungemein hilfreich, wenn man einzelne Spielsituationen dahingehend erläutert, nicht nur die eigentliche Regel zu zeigen, sondern auch Beispiele explizit zu nennen was mit einer Regel *nicht* gemeint und *nicht* abgedeckt ist, ggf. aber oft verwechselt oder missinterpretiert wird. Wäre das nicht auch gleichzeitig ein guter Themelieferant für weitere Blogeinträge?

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